Was bereut man im Alter am meisten?
In ihrer Jugend war sie ein unbeschwertes Mädchen, das aus einem gut situierten Elternhaus kam. Die Eltern besaßen eine florierende Brauerei mit Gaststätte.
Sie durfte aufs Gymnasium und lernte Klavierspielen, was in den 40er Jahren ungewöhnlich für eine junge Frau war.
Sie träumte von der Zeit nach der Schule, hatte große Pläne für ihr weiteres Leben, wollte studieren und in die Stadt ziehen.
Leider ist ihre Mutter sehr jung verstorben und so musste sie die Schule abbrechen und sich um die kleineren Geschwister kümmern.
Nebenbei arbeitete sie auch in der Gaststätte mit und ihre Klöße wurden berühmt in der Gegend.
Mit Anfang zwanzig lernte sie einen jungen Mann kennen. Die beiden waren sehr verliebt und er machte ihr einen Heiratsantrag.
Wie glücklich sie doch war!
Die Verwandtschaft hatte aber etwas dagegen. Der Bursche kam aus einem armen Elternhaus und war nicht standesgemäß. “Was sollen denn die Leute denken? Sowas gehört sich nicht!”
So löste sie schweren Herzens die Verlobung.
Mit 80 Jahren kam sie schließlich zu uns ins Heim. Sie hatte ihr ganzes Leben lang in der Gaststätte gearbeitet und war alleinstehend geblieben.
Plötzlich hatte sie Zeit ihre Vergangenheit aufzuarbeiten.
Sie bekam demente Schübe in denen sie wieder jung und verliebt war. Sie wollte alles für ihre bevorstehende Hochzeit vorbereiten, plante das Essen und die Feier, suchte nach ihrem Kleid. Voller Aufregung saß sie am Fenster und wartete auf ihren Liebsten, damit er sie vor den Altar führte.
Diese Phase dauerte mehrere Wochen und es war schwer mit anzuschauen, wie die Tage verstrichen, ohne dass ihr Bräutigam kam.
Eines morgens jedoch stand sie auf und verlor kein Wort mehr über ihre Hochzeit.
Später erzählte sie mir dann ihre Geschichte. Sie sagte, dass sie es bereue, nie an sich gedacht zu haben, sondern ihr Leben lang nur für die Bedürfnisse anderer gelebt zu haben.
