Die Jugend von Heute
Im Zusammenhang der hochkomplexen, sich fundamental wandelnden Gesellschaft, in der wir heute leben, sind die Themen „Jugend“, „Jugendlichkeit“ und „jungen Menschen“ sehr wesentlich.
Mit alten eindimensionalen und hierarchischen Ansätzen ist das Thema längst nicht mehr zu betrachten und sollte die Jugend auch nicht mehr behandelt werden.
Gesellschaft im Wandel
Die (westliche) Gesellschaft ist heute geprägt von einem enormen Zuwachs an Komplexität und Beschleunigung.
Besonders die weiter zunehmende Computerisierung („Internet der Dinge“) sowie die Globalisierung des gesamten Lebens bringen immer neue, flexible Verbindungen hervor.
Klare und feste Kategorien werden dabei immer unpassender und unbrauchbarer.
Immer mehr revolutioniert sich – etwa durch die riesigen Informations-Quellen und -Ströme des Internets, durch Konsequenzen von 3-D-Druckern oder durch den Zusammenbruch des Finanzsystems.
Das Denken in Entweder-Oder-Entscheidungen wird abgelöst von einem Sowohl-als-auch-Denken. „Nichts ist unmöglich.“ (Toyota) oder: Alles ist denkbar!
„DIE“ Jugend gibt es nicht
Jugendliche sind nicht mehr mit simplen Schemata zu betrachten und zu beschreiben – insbesondere im Verhältnis zwischen Jugendlichen und Erwachsenen.
Bisher war dieses Verhältnis durch Abgrenzung und hierarchische Beeinflussung der Jungen durch die Alten gekennzeichnet. Heute durchdringen sich beide Lebenssphären immer stärker.
Heute existieren verschiedenste Formen von Jugendlichkeiten, die auch von älteren Menschen angenommen werden können. Es gibt neue, vermischte Sozialkonstrukte, die alle „jugendlich“ sind.
„DIE“ Jugend gibt es deshalb schon lange nicht mehr.
Jugendlichkeit ist zu einem generationenübergreifenden Prinzip des Lebensstils geworden. Dadurch leben „Alte“ zum Teil jugendlicher als „Junge“.
Umfassender Ansatz nötig
Es wird heute ein umfassender Ansatz benötigt, der die komplexen Bedingungen und Zusammenhänge der Netzwerkgesellschaft einbezieht.
Das Phänomen Jugend muß in einem Rahmen untersucht werden, der genau so vielschichtig (bezüglich der Komplexität des gesellschaftlichen Lebens) wie elementar (für die Sozialisation) ist wie die Jugend selbst.
Jugend als Teil ihrer gesellschaftlichen Umwelten.
Jugend in der Netzwerkgesellschaft
Welche gesellschaftlichen Veränderungen und Prozesse prägen heute und künftig unsere Lebensführung? Dabei gibt es vor allem den Megatrend „Konnektivität“, der den neuen Gesellschaftstyp der „Netzwerkgesellschaft“ hervorbringt.
Diese Gesellschaftsform unterscheidet sich so grundlegend von der Gesellschaft des vorigen Jahrhunderts „wie die Elektrizität von der Mechanik“ (Dirk Baecker, Soziologe und Systemtheoretiker).
Ihre hypervernetzten Strukturen machen funktionale Zugehörigkeiten immer flexibler und optionaler.
Dadurch verändern sich auch die Formen und Funktionen von Jugend und Jugendlichkeit.
Die Vernetzung löst traditionelle demografische Zielgruppen auf und verändert, was wir als „jugendlich“ definieren.
Auf jugendliche Lebensstile können heute Menschen verschiedenen Alters zugreifen – von 20-Jährigen wie auch von 70-Jährigen.
Die neuen Multigrafien
Die klassischen biografischen Muster werden durch flexibilisierte Lebensläufe ersetzt und zu „Multigrafien“.
So änderte sich in den vergangenen Jahrzehnten einiges in der Lebensphase zwischen 20 und 30 Jahren radikal: Heute ist es etwa normal, dass Frauen im Alter Ende 20 ihr erstes Kind bekommen, was vor wenigen Jehrzehnten noch als „späte Mütter“ galt.
Heute ist es auch völlig normal geworden, im Arbeitsleben mehrere verschiedene Arbeiten in verschiedenen Organisationen auszufüllen und dazwischen zu lernen oder zu pausieren (auch aufgrund von Arbeitslosigkeit), während früher die Loyalität zu einem „Arbeitgeber“ in einem Unternehmen ein Lebenskonzept war.
Jugend in alternder Gesellschaft
Auch der demografische Wandel in der Gesellschaft erfordert ein neues, zukunftsfähiges Verständnis von Jugend:
Welche Rolle spielt Jugend im Kontext einer älter werdenden Gesellschaft, in der junge Menschen zahlenmäßig immer knapper werden?
Was lassen uns die heutigen Jugendlichen über die künftige „alte“ Gesellschaft vermuten?
Die flüssige Jugend (Liquid Youth)
Der Soziologe Zygmunt Bauman beschrieb die neuartige Flexibilität und Kontingenz unserer Lebensverhältnisse als „liquide“. Wir befinden uns dem Soziologen zufolge im Übergang von einer „festen“ zu einer „flüssigen“ Lebensweise („Liquid Modernity“), in der herkömmliche Ordnungen wegfallen und Individuen immer flexibler und anpassungsfähiger sein müssen.
Das entspricht auch den Realitäten der hochkomplexen Netzwerkgesellschaft.
Die heutige Jugend wächst auf natürliche Weise in diese gesellschaftlichen und technischen Bedingungen hinein und kann sich viel besser als andere soziale Gruppen auf diese flüssigen Verhältnisse einstellen.
Daher kann man die heutigen Jugendliche als „Liquid Youth“ bezeichnen.
Strukturelle Analogie zwischen Gesellschaft und Jugend
Die individuellen Entwicklungsprozesse der „Flüssigen Jugend“ (Liquid Youth) sind verknüpft mit dem Entwicklungsprozess der entstehenden Netzwerkgesellschaft.
In der heutigen hochkomplexen und sich schnell verändernden Zeit wächst eine ebenso komplexe „flüssige“ Jugend heran.
Die neue Rolle der Jugend kann nur als Teil des gesellschaftlichen Wandels verstanden werden.
Und über ihre Lebensweise zeigt sie uns die Potentiale und Grenzen der Zukunft, die unser gemeinschaftliches Leben verändern werden.
Die Lebensmodelle der Zukunft
Die Gestaltung einer resilienten nächsten Gesellschaft beruht deshalb stark auf den innovations- und anschlussoffenen Fähigkeiten, über die die „Liquid Youth“ verfügt:
▶ Die Fähigkeit zum natürlichen Umgang mit Kontingenz und Komplexität, trainiert durch die kontinuierliche Erfahrung von Ambivalenz und Unberechenbarkeit.
▶ Die Fähigkeit zum selbstverständlichen Umgang mit neuen computerisierten Technologien und Medien, die nicht zwischen on- und offline unterscheidet.
▶ Die Fähigkeit, für „glückliche Zufälle“ (Serendipity-Effekte) und Chancen offen zu sein, die aus der Erfahrung erwachsen, dass auch aus kleinen Ideen Großes entstehen kann.
▶ Die Fähigkeit, Dinge (grundlegend) in Frage zu stellen, ohne Antworten zu erwarten.
▶ Die Fähigkeit, irrelevante Lösungen schnell aufzugeben und loszulassen und zugleich schnell für neue, bessere Lösungen offen zu sein.
Die Jugend im beginnenden 21. Jahrhundert ist ausgerichtet
1) auf iteratives Denken und Lernen (durch Wiederholen, Aufbauen bzw. Konstruieren ),
2) auf intrinsische Motivation (innerer Anreiz, der in der Tätigkeit selbst liegt, z.B. im Empfinden des Flow-Erlebens),
3) auf kalkulierten Kontrollverlust (Selbst-Vertrauen und Ur-Vertrauen)
Quelle:
Die Jugendstudie des Zukunftsinstituts
Christian Schuldt: „Youth Economy“
April 2015, 128 Seiten, ISBN: 987-3-938284-96-4
http://www.zukunftsinstitut.de/artikel/youth-economy/
Kurzbeschreibung:
Im Fokus der Studie steht der Einfluss der Jugend auf die Wirtschaft der Zukunft, insbesondere auf die Arbeitswelt und die Bereiche Marketing und Konsum. Um künftig für Jugendliche attraktiv zu sein, müssen sich Unternehmen neu aufstellen. Das gilt im „War for Talents“ ebenso wie im Kampf um die Aufmerksamkeit junger Kunden und Konsumenten.
Aus dem Inhalt:
LIQUID MARKETING: In vernetzten Zeiten werden Jugendliche immer wertvoller als „Earliest Adopter“ neuer Konsumbedürfnisse. Unternehmen müssen neue, komplexere Ansätze entwickeln und den jugendlichen Kommunikationsregeln folgen.
WORK-LIFE-BLENDING: Jugendliche kombinieren Arbeit und „Leben“, Individualität und Kollektivität auf eine Weise, die unsere Welt verändern wird. Unternehmen können und müssen davon lernen, um ihre eigene Wettbewerbsfähigkeit zu steigern.
RESILIENZ FÜR DIE NÄCHSTE GESELLSCHAFT: Eine Gesellschaft im Umbruch braucht die Beweglichkeit der Liquid Youth, um global innovationsfähig zu bleiben. Wirtschaft und Politik müssen radikal umdenken und sich einstellen auf neue Lebensweisen, Werte und Normen.
JUGENDSZENEN: Von Hipster bis Gamer: Auch im 21. Jahrhundert spielen Szenen eine zentrale Rolle für die jugendliche Identitätsbildung – allerdings unter neuen, flexibleren und flüchtigeren Vorzeichen.
Leseprobe:
www.zukunftsinstitut.de